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Mostrocker Gerhard Egger

Mein Weg zu Franz Stelzhamer

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Artikel zu Franz Stelzhamer


Um meine Nähe zu Franz Stelzhamer verständlich zu machen, möchte ich
vorerst meinen eigenen Lebensweg darstellen.
Mitte des 20. Jh.s als Sohn einer singfreudigen Bergbauernfamilie in Gosau
am Dachstein geboren, wuchs ich die ersten vierzehn Jahre meines Lebens
in einer abgeschlossenen Miniaturwelt auf, deren Sprache, Menschen und
Traditionen sich seit Jahrhunderten kaum verändert hatten.

i bi a gosinger
so hecht wia dar stoa hinterm see
so woa wia dar südwind in lanzing
auf dar heh

i bi a gosinger
a wanns no wos onas hot gebn
wonnst oamoi a gosinger gwesn bist
aft bist as für dei ganzes lebn

Ein- oder zweimal im Jahr kam ich, einer Weltreise gleich, bis ins wenige Kilometer entfernte Bad Ischl. Ansonsten glaubte ich, unser Gosautal sei der Mittelpunkt der Welt, und diese würde hinter dem Dachstein aufhören.

docht eahin bon ursch
do pält a sche
und dös pächtat dös pält
bon ächtbom dahe

In unserer Familie wurde immer schon gern Altgosingerisches gesungen und noch mehr gearbeitet, wobei mir Ersteres wesentlich mehr zusagte. Außerdem besaßen wir eine Menge Instrumente, die keiner richtig spielen konnte. Den größten Teil unserer Bergbauernstube nahm ein alter Flügel ein, den mein Vater irgendwo auf einem Pferdemarkt ersteigert hatte. Durch diesen entflammte meine bis heute nicht erloschene Leidenschaft für autodidaktischen Wissens-und Fertigkeitserwerb.

dar bua is e dar schuai nit bled
de wiacht amoi a lehra
owa heit müass man no lurima
sist tuat a deacht nit mehra

Schon bald wurde augenscheinlich, dass ich geistiger Beschäftigung mehr zugetan war als der Knochenarbeit in Wald und Feld. Da der Begriff Arbeit in Gosau nur manuell besetzt war und ich kein Holzknecht werden wollte, beschloss ich also, später einmal Lehrer zu werden.

i wanna hold your hand
yeah yeah yeah

Ich saß wie vom Blitz getroffen auf der Ofenbank neben dem alten Kachelofen. Was da aus dem krachenden Lautsprecher unseres alten Volksempfängers schallte, waren die faszinierendsten Klänge, die ich in meinem bisherigen Leben vernommen hatte: Die Beatles hatten sich soeben in mein Leben geheult!

wos is denn dös für gsteamanei
a riesengroußi sauerei
na umei na a so a gsong
hiaz steht de welt boid neama long

Nachdem ich realisiert hatte, dass das Lebensgefühl dieser Musik von zuhause aus unmöglich zu ergründen war, knüpfte ich Kontakte zu anderen Gosingern, die bereits eine "Lehrerschule" in der Ferne besuchten. Einige Zeit später fand ich mich nach einer mehr als 10-stündigen Fahrt mit der Bahn im musisch-pädag. Realgymnasium des südburgenländischen Ortes Oberschützen wieder.

wous tuast da da du dou
schou wieda so a gousinger
de wous de oaaaman fröisch freissn toan

In derbem südburgendländischem Dialekt stellte mich der Biologieprofessor gleich am ersten Schultag als Froschmörder an den Pranger. Vierzig Stahlrohrbetten und darin Buben aus aller Herrgotts Bundesländer in einem Schlafsaal gaben mir die Gewissheit: Du bist zwar kulturgeschockt, aber das nicht allein!
Sie lagen vor mir, die Gleichgesinnten von morgen, die Neugierigen, Aufbruchsfreudigen, die einem das Heimweh vergessen ließen. Sie lagen hinter mir, die Gleichgesinnten von gestern, die Bewahrenden, die in der Sicherheit der Tradition Verharrenden, die mein Fernweh bewirkt hatten.

soizkommaguat
i muass furt vo dahoam
wei e dar welt daußt is sche
do den schenisten is oiwai wieder dahoam
wann i aufn berig drobn steh

Anfangs zwischen Alm und weiter Welt hin- und hergerissen, war die Sehnsucht nach der einzigartigen Landschaft meiner Kindheit zwar noch immer vorhanden, das Verständnis für die Leute und ihre Traditionen wurde jedoch immer mehr von einem neuen Gefühl überlagert.

freedom-voice of my soul
show me that people need no control
freedom-voice of my soul
show me that they need no line

Als mittelweile erfolgreicher Komponist und Textdichter englischsprachiger Songs sowie als autodidaktischer Multi-Instrumentalist hatte ich es mit meiner Band "Art Boys Collection" bis in die Ö3-Charts gebracht, studierte nebst meiner Popkarriere in Linz an der Pädak und konnte mit den Traditonen der Gosinger nichts mehr anfangen. Die Welt war, so dachte ich damals, mein Zuhause geworden.
Bald darauf musste eine Entscheidung fallen: Lehrer oder Rockmusiker.
In Österreich blieb einem zu dieser Zeit kaum eine Wahl, wenn man sich für ein Leben mit Familie entschieden hatte und man sich seiner Verantwortung bewusst war. Ich verlor in der Folge den Anschluss an die Szene, unterrichtete, spielte jahrelang Tanzmusik und komponierte und textete im stillen Kämmerlein für andere Interpreten.

music is mei lebn
und oans is ma kloar
music wird mei lebn bleibn
die nächsten fuffzig joahr

Meine Familie war nun meine neue Heimat, aber ich begann zu begreifen, dass ich im künstlerischen Bereich ein Heimatloser war. Ich schrieb bis dahin gefällige englischsprachige Popsongs in epigonenhafter Manier ohne eigene Kraft und Ausstrahlung. Also beschloss ich, mich erneut auf den Weg zu machen.
Ich gründete mit Freunden ein Tonstudio mit eigener Plattenfirma, produzierte an die hundert CDs mit Künstlern verschiedenster Musikrichtungen und schrieb eines Tages mein erstes wirklich authentisches Lied:

so long – long – so long
long woar der weg für mi
vom dachstoa bis noch tennessee

Plötzlich spürte ich: Meine Selbstfindung kann nur über die Sprache meiner Heimat betrieben werden. Von diesem Zeitpunkt an war Texte schreiben für mich nicht länger Lautmalerei im Dienste meiner musikalischen Kompositionen, sondern ein gleichberechtigter Teil, der mir eine nicht enden wollende Flut authentischer Visionen ermöglichte. Deshalb versuchte ich nun aus allem, was mein Leben ausmachte und ausgemacht hatte, einen eigenen Stil zu entwickeln.

hallstatt
i mecht wieder zruck zu dir
bevor i mi no seiba verlier
bevor i ganz dafrier

Ich besann mich auf meine einzigartige Kindheit in den Gosauer Bergen, auf die Erfahrungen aus dem Burgenland, auf Eindrücke aus dem Linzer Stadtleben und Stadlinger Lehrerdasein, auf Reiseerfahrungen und Familienalltag, hielt mir die über tausend Live-Auftritte als Musiker und meine unzähligen Arbeiten als Musikproduzent vor Augen und sagte mir: Das bin ich, das hat Kraft, das ist meine Heimat!

mit de ross und mit de koima
des is hiaz long scho her
samma auffi auf die oima
doch des gibt’s heit neama mehr

oba dirndl tua nit woana
was vorbei is is vorbei
aus brochenen herzn werdn stoana
und die welt wird vogelfrei

Mir war klar, dass diese meine neue Heimat nicht in das Heimatbild der meisten anderen Österreicher passen würde. Es würden nicht über die Maßen viele einen ähnlichen Lebensweg beschritten haben. Das Beschreiten dieses authentischen Weges war mir jedoch wichtiger als musikantenstadl-geschwängerte Breitenwirkung, deren oberflächliche Volksbelustigung ohnehin nicht die eines gebürtigen Salzkammergütlers sein konnte.

owa iwad oima waht a fada wind
musikantenstadlplaniert
iwa tausend sänger singan tausende moi
oiwai wieder des gleiche liad

gemmas o gemmas o gemmas o
mir miassn wieder voro

Als nun Leute mit ähnlichen Lebenserfahrungen wie Hubert von Goisern in der Öffentlichkeit sehr erfolgreich waren, kam auch für meine künstlerische Arbeit vermehrt Anerkennung. Ich hegte die Hoffnung, der gelernte Österreicher könnte in größerer Zahl von dieser unserer Heimat angetan sein und sie als Beitrag für die Entwicklung eines neuen Heimatbewusstseins annehmen.
Wie sich herausgestellt hat, wurde diese Hoffnung nicht erfüllt. Die quotenorientierte Unterhaltungsindustrie betrieb Etikettenschwindel und legte unsere Heimat in eine Lade, klebte das Etikett Alpenrock drauf und goß wechselbassbewährte Schunkelsuppe oder discogestampften Einheitsbrei darüber.

dar ruamzuzler und sei iwagwuzelter
hom hoit koa freid
mitm ruamzuzln und iwawuzln
da kemmas nit weit

sagt dar ruamzuzla
du iwagwuzelter werdn ma moderner
wann ma ruamzuzln im techno-beat
brauch ma nix lerna

wos dar model-dodel für die stodt
is dar stadel-adel fürs land
es wird schunkelt und geschwenkt
bis dass koana mehr – denkt

Auf meinem Weg voran brachte mich dann vor einigen Jahren der Grieskirchner Hans Gessl mit dem Wanderer Franz Stelzhamer zusammen, von dem mir bis dahin nicht viel mehr als der Text der oö. Landeshymne geläufig war.

dahoam is dahoam
wannst nit furt muasst so bleib
denn d´ hoamat is enta
der zweit muattaleib

Während der Lektüre seiner Gedichte schossen mir mit großer Vehemenz Bilder aus meinem eigenen Leben durch den Kopf. Ich war vollkommen erstaunt und betroffen, wie so etwas bei Gedichten mit beinahe 200 Jahre alten Inhalten möglich sein konnte.
Als Begründung fiel mir nur ein, dass sich in dem bis in meine Kindheit abgeschieden gelegenen Gosautal Ausdrücke und Verhaltensweisen erhalten haben könnten, die bereits zu Stelzhamers Zeiten gang und gäbe gewesen waren. Möglicherweise konnte er sich in seiner künstlerischen Substanz auch auf ähnliche Erfahrungswerte stützen.

in der weit hams mi gern
hom a freid wann i kimm
schau i hoam hebt si glei
untern baunan dö stimm

wia schaut er denn aus
hau du kennst jo sei oart
hot an aufstehats hoar
und an hängadn boart

Nachdem ich eigene Texte stets vor meinem inneren Auge mit Landschaften, Personen oder Vorgängen aus meiner Umgebung in Verbindung bringe und dadurch visualisiere, fasste ich spontan den Entschluss, mehr als ein Dutzend Stelzhamergedichte zu vertonen, da ich sie sogleich mit adäquaten eigenen Bildern unterlegen konnte.

a mensch der ma zwider is
dem sog i´s gschwind
und a ding dös ma muckn mocht
schlog i in wind

wias kimmt a so nimm i`s
wias geht loss i`s geh
und wanns ebba nit toa will
so sog i loss steh

Die Musikalität seiner Sprache erschien mir ungemein ausgesprägt. Nun wurde mir klar, warum er bislang so oft vertont worden war. Die Melodiebögen scheinen bereits in seine Texte integriert zu sein. Man braucht nur die Sensibilität, sie zu spüren. Die größte Herausforderung waren jedoch die für meine Form der Musik notwendigen Ergänzungen im Textbereich, ohne dabei qualitativ allzu weit abzufallen.

oft wills hoit nit krea geh
und dös is dir a pein
oba so gescheit wia ra bacherl
wirst denna no woi sein

dös windt si und dös boigt si
dös schlingt si und dös schmoigt si
nur geh so wisperts nur geh
is oiwai no besser wia steh

Ich möchte mir nicht anmaßen, über Stelzhamer genau Bescheid zu wissen. Das werden die honorigen Damen und Herren, die sich mit ihm ein ganzes Leben lang beschäftigt haben, sicher besser hinkriegen.
In einem bin ich mir nach dieser Flut persönlicher Empfindungen während unserer posthumen Zusammenarbeit jedoch sicher:
Er fühlte sich weder im Bauernstand noch im Bildungsbürgertum, weder im Wirtshaus noch in der Kirche, weder in der Stadt noch auf dem Land auf die Dauer wirklich heimisch. Er war für das Landvolk zu intellektuell und für das Stadtvolk zu bodenständig.
Er war ein Wanderer, der sich auf Grund seiner Herkunft, seiner Anlagen und seines Lebensweges eine eigene innere Heimat schaffen musste. Diese innere Heimat wird nun im Zeitalter der Globalisierung immer wichtiger. Deshalb wage ich zu behaupten: Wenn Franz Stelzhamer heute gelebt hätte, wäre er vielleicht ein Mostrocker geworden.

Mehr über ihn auf seiner Homepage: www.mostrocker.com